Hamad bin Chalifa Al Thani bei der 67. UN-Vollversammlung |
Die gegen Syrien anstürmenden Aggressoren nutzen die Sitzung der 67. UN-Vollversammlung dazu, die Pläne ihres weiteren Vorgehens im syrischen Konflikt bekanntzugeben. Die, welche aus dem westlichen Part dieser Koalition bisher aufgetreten sind - Großbritannien und die USA - haben es den unmittelbar am Krieg gegen Syrien beteiligten Ländern überlassen, das Konkrete vor dem Hintergrund der allgemeinen Drohkulisse zu artikulieren. Dieser Länder sind es drei - die Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Bisher ist davon nur der Katar zu Wort gekommen, aber es hat nicht den Anschein, als können Erdoğan oder Prinz Salman noch etwas sagen, was der Emir Hamad bin Chalifa und dessen Premier Hamad ibn Dschasim Al Thani nicht schon zur Sprache gebracht haben.
Die Rede des Emirs kann man sich in der englischen Übersetzung komplett durchlesen oder ansehen/anhören, und daraus wird auch ganz fix klar, worin die Neuerung der nun gefassten Pläne besteht. Kurz danach hat Hamad ibn Dschasim die Ansprache des Emirs noch konkretisiert.
Es geht, kurz gesagt, darum, dass es durch die Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrates, eine den Vorstellungen der Aggressoren entsprechende Syrienresolution zu verabschieden, nun den “arabischen Ländern” obliegt, in die Verantwortung zu treten:
Angesichts dessen denke ich, dass es für die arabischen Länder selbst besser wäre, aus ihrer nationalen, humanitären, politischen und militärischen Pflicht heraus einzugreifen und alles zu tun, was notwendig ist, um das Blutvergießen, die Ermordung Unschuldiger und die Vertreibung in Syrien zu stoppen, um eine friedliche Machtübergabe in Syrien zu garantieren.
Dieses Statement wird durch die Erwähnung eines historischen Präzedenzfalls (von 1976) untermalt, als die arabischen Staaten ein Kontingent an Friedenssoldaten in den Libanon entsandten, um den dortigen Konflikt zu beenden.
Die Feinheit besteht nun darin, dass das Beispiel von 1976 im Kontext dessen, was der Emir hier vorschlägt oder fordert, ziemlich doppeldeutig aussieht. 1976 hat nämlich gerade Syrien ein Friedenskontingent in den Libanon entsandt, wonach in Riad eine Konferenz unter Beteiligung Saudi-Arabiens, Ägyptens, Syriens, Kuwaits, Libanons und der PLO durchgeführt wurde, wo dann - mehr oder weniger post factum - beschlossen wurde, eine “inter-arabische” Schutzmacht von 30.000 Mann im Libanon zu sammeln, von denen die syrische Armee fast 90% stellte. Mit anderen Worten, die historische Analogie in der Rede des Emir ist ziemlich verfehlt, denn die Schutzmacht der arabischen Länder im Libanon wurde nach dessen Okkupation beschlossen, um dieser eine bestimmte Legitimität zu verleihen.
Wie dem auch sei, deutlich wird jedenfalls, was der Emir will: die arabischen Länder sollen den “syrischen Rebellen” militärische Hilfe leisten und eine “friedliche Machtübergabe” ermöglichen. Wie das zusammenpasst, weiß allein der Emir, für alle anderen wird es plausibel, wenn man das Wort “friedlich” aus diesem Konzept streicht.
Wenn man versucht, sich die Sache praktisch vorzustellen, so tritt hier eine Frage auf, die wahrscheinlich nur Militärexperten kompetent beantworten können. Die Sache ist die, dass es in der Region keine Armee gibt, die es mit der syrischen aufnehmen könnte. Das heißt, doch: die Türken und die Israelis hätten dieses Potential, aber der Emir spricht von “arabischen Ländern”, was die Türkei und selbstverständlich auch Israel aus diesem Modell ausschließt.
Ein wenig ist der katarische Premier Hamad ibn Dschasim Al Thani darauf eingegangen. Er meinte, es ginge um die Schaffung einer Flugverbotszone durch eine solche Koalition aus arabischen Ländern und um humanitäre Hilfe in und außerhalb von Syrien. Sicher, diese Hilfe sollen die Flüchtlinge bekommen. Es soll also weniger um eine Erstürmung von Damaskus, als vielmehr um eine Militäroperation in zwei Etappen gehen. Die erste Etappe obliegt der momentan noch fiktiven Koalition aus “arabischen Ländern” und beinhaltet die erwähnte Flugverbotszone über einem bestimmten Teil des syrischen Territoriums.
Wenn man bedenkt, dass die Rebellenbanden es nur dann mit der syrischen Armee aufnehmen können, wenn diese keine schweren Waffen, Panzer und ihre Luftwaffe einsetzt (was man recht gut zur Zeit des “Waffenstillstands” von Kofi Annan sehen konnte), so hat die Errichtung einer Flugverbotszone nur dann Sinn, wenn man diese Zone sogleich nach ihrer Etablierung mit Söldnerbrigaden anfüllt, die von den regulären Truppen der Koalition arabischer Staaten verstärkt werden.
Die zweite Etappe dieser Militäroperation würde dann der Versuch werden, das libysche Szenario umzusetzen, bei welchem die Rebellen von ihren Enklaven in Bengazi, Misurata und Zintan aus und mit permanenter Aufmunitionierung durch die westlichen Staaten es letztlich geschafft haben, die Armee der Dschamahirija zu zerschlagen und den Großteil des libyschen Territoriums unter ihre Kontrolle zu bringen.
Eine solche lokale Aufgabe wäre dann nämlich für die vom Emir erwähnte Koalition aus arabischen Staaten machbar. Wenn sie - wovon man ausgehen kann - ohne großes Gerede durch die Luftwaffe von NATO-Ländern untertützt würde, so sieht dieses Szenario um so machbarer aus. Angriffe auf die syrische Luftabwehr, eine methodische Vernichtung der syrischen Luftwaffe - das ist dann Material für Militärexperten, die sich dazu konkreter äußern könnten.
Die Frage steht nur nach der Legitimität einer solchen Aktion und danach, was wohl die Reaktion Russlands, Chinas und des Iran sein wird. Von Vernichtungsschlägen gegen den Katar brauchen wir vorerst nicht träumen. Durch den UN-Sicherheitsrat werden Russland und China die Sache nicht verhindern können, warum, das sollte klar sein. Es bleibt der Iran, für den eine Aggression gegen Syrien gleichbedeutend mit einem Angriff auf seine Interessen und damit praktisch auf ihn selbst ist.
Woher solche Militäraktionen dann konkret kommen, welche Stützpunkte als Basis genutzt würden, ist dann wieder eine rein militärische Frage. Aber es gibt sie. Al-Udeid im Katar, die NATO-Stützpunkte in der Türkei, wie z.B. Incirlik - niemand wird es den “arabischen Ländern” verbieten, sie “zu mieten”. Geht die Sache aber von dort aus, würde das den Iran vor die Frage stellen, diese Stützpunkte anzugreifen, denn es bleibt eigentlich keine andere Möglichkeit, der Sache entgegenzuwirken. Ihre Luftabwehrsysteme nach Syrien verlagern werden die Iraner angesichts der immer schlimmer werdenden israelischen Drohungen wohl kaum. Das würde jedenfalls bedeuten, dass die “arabische” Einmischung in Syrien zum Krieg mit dem Iran führt. Wonach unter dem Lärm eines Kriegs gegen den Iran die NATO nebenbei auch vollumfänglich in Syrien aktiv werden könnte.
Offen gestanden, ist es fast unmöglich, eine Aggression nach diesem Muster zu stoppen. Man könnte Syrien keine wirksame Hilfe mehr leisten, die Ereignisse würden sich ohnedies überschlagen, so dass man kaum noch adäquat reagieren kann.
Katars Premier, Hamad ibn Dschasim, hat ja überdies noch angemerkt, dass die Umsetzung des Plans dieser arabischen Koalition “in einigen Wochen” wirksam sein wird, und dass er davon ausgeht, die Position der USA würde sich bis dahin ändern - nämlich direkt nach den Präsidentschaftswahlen. Keine Ahnung, worauf er anspielte - entweder weiß er, dass Romney gewinnt, oder er hat Informationen über ein Einlenken Obamas. Auf jeden Fall soll dieser von den Kataris heraufbeschworene D-Day wohl auf Anfang November fallen.
Man kann durchaus noch abwiegeln und sagen, dass sich die Friedenstäubchen hier nur vorantasten und sehen wollen, wie die Reaktion ist. Aber es ist ebenso Fakt, dass die Aggressoren andere, als die bisher angewandten Taktiken zur Vernichtung Syriens ergreifen müssen, wollen sie irgendwann noch zu ihrem Ziel gelangen.
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