Wie Island den Euro rettete und nun im Medien-Sumpf ersoffen ist
Reykjavík: Tatsächlich, wo ist Island in den Medien geblieben? Es ist schlicht weg, abgesoffen, nicht mehr existent. Bezogen auf seine Fläche von etwas mehr als 100.000 Quadratkilometer ist es kein keines Fleckchen Erde Europas. Bezogen auf seine Einwohnerzahl von gut 320.000 eher ein Winzling und nur ein Drittel der zyprischen Einwohnerschar, deren Bedeutungslosigkeit uns gerade in den letzten Tagen eindrucksvoll vor Augen geführt wurde. Jetzt könnte man meinen, die Nichtpräsenz der Insel hätte mit den wenigen Menschen dort zu tun. Dem ist aber nicht so, es geht eher um die generell schlechte Vorbildwirkung die diese Menschen auf die „Resteuropäer“ auszuüben im Stande wären.
Genau letzteres wird der Grund sein, warum man dieses sture Inselvolk hier tunlichst nicht mehr erwähnt, quasi totschweigt, allein um Ansteckungsgefahren zu vermeiden. Pures Gift für die jetzige EU-Kratie. Insoweit ist auch die Ferne dieser kalten Insel eine Eigenschaft, die die mediale Quarantäne stark begünstigt. Island ist (noch) nicht Mitglied der EU, sie stellten den Aufnahmeantrag erst im Juli 2009 und seither wird, wie üblich, lang verhandelt, dabei wird es wohl auch bleiben. Seit 1999 nimmt Island aber am Schengener Abkommen teil, sodass man recht gut und ohne große Formalitäten aus der EU dorthin reisen kann. Für jene die jetzt noch den Kopf schütteln, weil sie es geographisch nicht auf den Schirm bekommen: Island liegt zwischen Norwegen und Grönland und nordwestlich von England, so als grobe Orientierung und ja, Island ist noch da.
Um die Überschrift jetzt weniger rätselhaft wirken zu lassen, soll folgendes erläutert werden. Wäre Island zum Zeitpunkt des Beginns der Finanzkrise und beim Zusammenbruch seines Bankwesens Mitglied der Euro-Zone gewesen, dann hätte es durch sein radikales Verhalten in der Sache den Euro zu Fall gebracht und damit die Union gesprengt. Andere Länder, die den Euro haben und möglicherweise mit ähnlichen Optionen liebäugelten, wurden von Brüssel aus massiv erpresst und gegängelt, dass sich entsprechende Gedanken gar nicht erst großartig ausbreiten konnten.
Deshalb kann man ruhigen Gewissens behaupten, dass Island durch seine „Nichtmitgliedschaft“ in der Euro-Bande, dieser bislang das Leben gerettet hat. Oder anders ausgedrückt, wäre Island zu dem Zeitpunkt Euro-Teilnehmer gewesen, hätte man vermutlich eher eine „Befreiungsarmee“ dorthin entsandt, um die sturen Isländer mit dem Gewehrlauf wieder auf die EU-Staatsräson einzuschwören, als den Euro krachen zu lassen. Nach geltenden EU Bestimmungen hätte man bestimmt auch einen Weg gefunden dies als Aufstand zu deklarieren. Aber betrachten wir jetzt ein wenig genauer was dort abgegangen ist, auch noch passiert und weshalb man die Insel, als Hort einer neuen Demokratie hier doch lieber totschweigt.
Isländische Krisenbewältigung
Nach dem Zusammenbruch des isländischen Bankensystems hat man dem Druck der internationalen Banken, des IWF und auch diverser anderer Nationen widerstanden und eine Vergemeinschaftung der durch die Banken verursachten Verluste rigoros abgelehnt. Ergänzend dazu haben die Bürger die amtierende Regierung aus dem Amt gejagt und viele für das Drama verantwortliche Politiker und Banker vor Gericht gestellt und tatsächlich auch allerhand Gefängnisstrafen für diese Verfehlungen ausgeteilt. Verfehlungen, für die im restlichen Euro-Raum und in anderen Ländern bis heute noch millionenschwere Boni an die Banker ausgereicht werden. Also noch ein Grund mehr dies alles zu verschweigen.Dessen aber noch nicht genug. Der Preis dafür war zunächst die Staatspleite und damit auch eine Art internationale Isolation und Ächtung. Immerhin hatten es die kriminellen Bankster geschafft einen Haufen an Verbindlichkeiten aus Fehlspekulationen und Fehlinvestitionen von sage und schreibe 900 Prozent des isländischen Bruttosozialprodukts aufzutürmen.
Jetzt haben aber die 320.000 Insulaner nicht den Kopf ins Eis gesteckt, auch nicht in den kalten Sand, nein sie fingen jetzt gerade mal an sich und ihren Staat neu zu erfinden und sind aktuell noch dabei. Damit zeigen sie auf ganz ekelhafte Weise einem Moloch namens EU jetzt einmal mehr wie Demokratie richtig funktionieren kann. Ein Sakrileg, denn nichts wird in der EU und der Euro-Zone mehr verabscheut als direkte Demokratie, weil es nachweislich den Interessen einiger weniger sehr stark schadet und die Volksausbeute aufs höchste gefährdet.Demokratie neu definiert
Und genau in dieser Phase steckt Island derzeit noch. Ein kleiner Rat von gut 25 Menschen arbeitet hart daran an, eine neue, eigene Verfassung auf die Beine zu stellen. Der Prozess selbst ist sehr bemerkenswert und in höchstem Maße transparent. Dies begann bei der Auswahl der Menschen die dieses Werk vollbringen, wie auch für die Offenheit bei der Gestaltung, bei der dem Grunde nach alle Isländer online zusehen können.Keine Politiker sind mehr an der Erarbeitung der neuen Verfassung beteiligt und diejenigen die diesen Job machen haben einen entsprechenden Leumund im Volk der sie dorthin geführt hat. Und das Volk selbst kann jederzeit zusehen, kommentieren, anregen, ergänzen, Fragen stellen oder auch nur kritisieren. Der Prozess hält derzeit noch an und ist nicht abgeschlossen. Wer darüber noch mehr und genaueres erfahren möchte, der kann sich diesen äußerst inspirierenden Artikel einer italienischen Radioreportage dazu antun Neues von der Finanzkriegsfront, wobei dieser Artikel von „Terranetz.org“ auf Deutsch gehalten ist und den ganzen Werdegang rund um die Krise und die neu zu erarbeitende Verfassung des Landes wunderschön erläutert und zusammenfasst. So gut, dass man wieder richtig Lust auf echte Demokratie bekommt. Wer Details dazu sucht und mag, der sollte den Artikel lesen.
Island ist brandgefährlich für die EU
Nun sollte auch dem letzten Betrachter schon klar werden warum am Ende auch die noch andauernden Beitrittsverhandlungen zur EU werden scheitern müssen. Es mag bei einigen Kooperationen, wie beispielsweise dem Schengen Abkommen und vergleichbaren bleiben, aber ein vollwertiges EU und Euro-Zonen Mitglied kann Island unter solchen Voraussetzungen nicht mehr werden. Denn sie müssten wieder ähnlich undemokratische Gebilde über ihrer neuen Verfassung dulden, was nach derartigen Mühen wohl ausgeschlossen scheint. Wenn man dazu dann noch betrachtet wie wenig sich die EU selbst an eigene Verträge und Abkommen hält, dann muss einem Normalbürger schon Angst und bange werden.Genau die aufgezeigten Faktoren dürften die Gründe dafür sein, warum man in der Europäischen Union diese Insel am liebsten gänzlich versenken möchte, nicht nur in den Medien. Island stellt eine echte Bedrohung für jede indirekte oder repräsentative Demokratie dar, jedenfalls solange über diese eisigen Hinterwäldler noch berichtet wird. Für uns ein Grund mehr. Die EU ist ja noch viel weiter von echter Bürgerbeteiligung entfernt als manche Nationalstaaten und hat mit Demokratie deshalb schon rein gar nichts mehr zu tun.
Island hat ein Knechtschaftssystem gekippt und ist dabei zu zeigen wie Selbstorganisation von Menschen funktionieren kann. Das Argument, welches jetzt zu erwarten ist, dass dies bei Abermillionen von Menschen nicht mehr funktionieren können soll, scheint ziemlich verlogen, aber wir werden uns auch solches mit Sicherheit seitens unserer Offiziellen noch anhören müssen, sollten wir auf die verwegene Idee kommen Island für dieses Vorhaben als Beispiel anzuführen. Wer also den Gedanken einer ehrlichen und volksnahen Demokratie für erstrebenswert hält, der sollte sich von Zeit zu Zeit einmal nach dem Wohlbefinden dieser 320.000 Insulaner auf Island erkundigen, damit sie eben nicht aus den Augen und aus dem Sinn verschwinden. Das Verhalten der Isländer verdient höchsten Respekt.
Quelle: qpress
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