Seit Dezember ist ein neuer Süßstoff in der EU zugelassen: E960 oder Steviolglycosid. Der Süßstoff wird aus der Steviapflanze gewonnen, deren Zulassung als Zuckerersatz von manchen schon seit längerem gefordert worden war, und deren Blätter in Reformhäusern und Co auch schon seit längerer Zeit erhältlich sind.
Endlich ein natürlicher Süßstoff, könnte man meinen, doch gefehlt: E960 ist ein Laborprodukt und kein bisschen natürlicher als andere Süßstoffe. Die Werbung suggeriert freilich anderes. Im Gesundheitsministerium wird deshalb bereits von möglicher Irreführung gesprochen.
Es gibt Neuigkeiten im Kühlregal: Yoghurts, Molkegetränke und Softdrinks werben seit kurzem damit, ihre Süße aus Stevia, und nicht aus Zucker zu beziehen. Mit der aus Südamerika stammenden Steviapflanze, auch Honigkraut genannt, hat der neue Süßstoff allerdings nicht mehr viel gemeinsam, sagt Petra Lehner, Referentin für Lebensmittelsicherheit im Gesundheitsministerium: “Die EU-weite Zulassung bezieht sich auf die Steviolglycoside, das sind Teile der Steviapflanze, die hoch aufgereinigt als Zusatzstoff verwendet werden dürfen.”
Seit Dezember 2011 sind Steviolglykoside unter der E-Nummer E960 in der EU zugelassen. Wie für andere Süßstoffe, zum Beispiel Aspartam, gelten auch hier empfohlene Höchstaufnahmemengen. Um aus der Steviapflanze den Süßstoff zu gewinnen, sind mehrere Verarbeitungsschritte notwendig. Der Stoff muss entfärbt, entsalzt und kristallisiert werden.
Schweiz verbietet Zusatz “natürlich”
Bei Steviolglykosiden handelt es sich also um ein Produkt aus dem Labor, sagt Petra Lehner, der Zusatz “natürlich” oder “mit Stevia” ist irreführend – in der EU allerdings noch nicht untersagt. “Die korrekte Bezeichnung wäre ‘gesüßt mit Steviolglycosiden’, hier kann man auch sagen ‘mit pflanzlichen Steviolglykosiden’, das ist auch noch zulässig. In der Schweiz, wo der Zusatzstoff schon seit 2008 zugelassen ist, gibt es ganz explizit ein Verbot des Wortes ‘natürlich’”, so Lehner.Eine ähnliche Richtlinie existiert derzeit nur in Belgien. In Österreich untersucht das Gesundheitsministerium gegenwärtig das Angebot an Produkten mit Steviolglykosiden und deren Vermarktung. Mit einer Richtlinie zur Auslobung sei bis August 2012 zu rechnen. Außerdem werde in Brüssel bereits der Vorschlag für eine EU-weite Regelung auf Basis der belgischen Richtlinie diskutiert.
Steviablätter nach wie vor nicht zugelassen
Die Blätter der Steviapflanze, die derzeit nur als Badezusatz verkauft werden dürfen, sind weder in der Schweiz noch in der EU als Lebensmittelzutat zugelassen. “Die hätte als ‘Novel Food’ zugelassen werden müssen. Die natürliche Süße aus der Pflanze ist EU-weit jedoch nicht zugelassen, weil eine Abschätzung der Verträglichkeit und Giftigkeit nicht möglich war”, erklärt Ernährungswissenschaftlerin Lehner.Das heißt jedoch nicht, dass sich gelegentliche Stevia-Konsumenten um ihre Gesundheit sorgen müssen: “Ich würde sagen: badewannenweise würde ich es nicht verwenden. Hin und wieder einen Tee mit einem Steviablatt, auch wenn es nicht zugelassen ist, zu süßen, lässt mich nicht tot umfallen, auch nicht in 20 Jahren.” Wichtig sei nun vor allem, eine Irreführung der Konsumenten zu unterbinden. Der Hinweis auf den neuen Süßstoff dürfe nicht suggerieren, dass es sich dabei um einen natürlichen, oder vielleicht sogar einen Biozusatzstoff handelt, mahnt Lebensmittelreferentin Lehner. Nicht zuletzt deshalb, weil 95 Prozent der Steviolglykoside auf dem EU-Markt aus China importiert, und mit hohem Energieeinsatz produziert werden.
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