Mittwoch, 20. März 2013

Zehn Jahre Demontage Nahost

Zehn Jahre Demontage Nahost:
Es sind heute morgen genau zehn Jahre, dass mit dem US-amerikanischen Überfall auf den Irak die zweite Phase des Irakkriegs begann.


Heute ist deutlich, dass die damals deklarierten taktischen Ziele - eine Entmachtung Saddam Husseins, Kontrolle über das irakische Erdöl und viel mehr natürlich ein Anpflanzen von “Demokratie” - nichts als die Maskierung eines ganz anderen Ziels gewesen sind. Eines, das um einiges globaler ist, zu groß, als dass es damals hätte jemand formulieren können. Eigentlich ist dem auch heute noch so. Jedenfalls haben selbst die höchsten Ränge der US-Regierung dazumal wahrscheinlich nur einen Teil dieses eigentlichen Ziels erfasst, das von ganz anderen Leuten und Strukturen vorgegeben wurde.



Mit diesen Begriffen ist nicht eine schattenhafte “Weltregierung” gemeint; die Existenz eines gewissen Machtzentrums mit weltweiten Kompetenzen ist etwas zu mythologisiert. Doch die Interessen internationaler, globaler Strukturen erforderten es - und erfordern es heute weiterhin - dass die gesamte Nahost-Region destabilisiert wird. Die Sache ist die, dass es in der Welt gar nicht so viele Regionen gibt, die dem Globalisierungsszenario des Westens potentiell Paroli bieten könnten. Die Globalisierung als solche scheint erst einmal unvermeidlich - es existiert eine internationale Arbeitsteilung, es gibt den Begriff “Weltwirtschaft”, schon deshalb ist es nicht zu vermeiden, dass inter- oder transnationale Regulierungsbehörden geschaffen werden. Wie aber genau das Szenario aussieht, nach dem sich diese Weltwirtschaft entwickeln wird, ist eigentlich gar nicht so offensichtlich oder alternativlos.

Deshalb ist dem Westen daran gelegen, dass alle sein Globalisierungsprojekt potentiell bedrohenden Projekte beseitigt werden. Die Region Nahost bietet mit ihren kolossalen Ressourcen die Mittel, ihre Wirtschaft und Gesellschaft radikal zu modernisieren und konkurrenzfähig zu machen. De facto wäre der Nahe Osten in der Lage, die Errungenschaften der damaligen Sowjetunion und Chinas zu wiederholen, welche sich beide nur auf ihre inneren Ressourcen stützten und damit in sehr kurzer Zeit dazu in der Lage waren, einen beeindruckenden industriellen und technologischen Sprung zu bewerkstelligen.

Nun bedeutet “de facto in der Lage sein” natürlich nicht, dass das auch passiert. Dem steht eine Reihe an nicht von der Hand zu weisenden Faktoren entgegen.

Ein großangelegtes wirtschaftliches, gesellschaftliches und politisches Modernisierungsprojekt erfordert es, dass die verfügbaren Ressourcen darauf konzentriert werden, es ist notwendig, die Menschen zu mobilisieren, wofür es einer Ideologie bedarf. Das zu bewerkstelligen wäre für Nahost nicht einfach: Führungsfrage, Islam als Kern einer auf Modernisierung hinarbeitenden Ideologie... dabei ist der Weg des Iran, der im Zuge der Revolution von 1979 und der späteren schwierigen Zeit die Grundlagen seiner eigenen Modernisierung schaffen konnte, nicht unbedingt auf die übrige islamische Welt anwendbar. Die Ideologie im Iran stützt sich nicht nur auf den Islam (und da nun auf dessen schiitische Version, welche für die Mehrzahl der Moslems immer noch unannehmbar bleibt), sondern auch auf nationalistische und, geschichtsbedingt, auf imperiale Denkweise. Das Zusammenspiel dieser drei Faktoren schuf die spezifisch iranische Ideologie, welche innerhalb des Establishments und der Gesellschaft gewisse Widersprüche generierte, die zur Quelle eines Fortschritts aller wurden.

Für die sunnitische Welt hätte der Widerspruch zwischen dem säkularen Charakter einer typischen Staatsordnung und dem Islam zur Quelle einer Entwicklung werden können. Der Irak war in diesem Sinne eines der erfolgreichsten Projekte. Die Türkei ist mit Anbruch des 21. Jahrhunderts faktisch aus dem Rennen um die Führugnsrolle ausgeschieden: dort siegte das islamisierte Dorf letztlich über den säkularen kemalistischen Charakter der Staatsmacht und löste somit den Widerspruch auf. Der Irak Saddam Husseins war dazu in der Lage, als säkulares Projekt eine Führungsrolle in der Region zu übernehmen, und genau deswegen wurde er zum Feind Nummer 1 für das (sit venia verbo) westliche Projekt. Die USA sind so gesehen nur das Instrument zu seiner Beseitigung gewesen. Die Amerikaner haben das gestellte Ziel erreicht - das irakische Projekt mit regionalem Führungsanspruch ist vom Tisch. Die Demontage des Irak war es, die allen säkularen Staaten des Nahen Ostens vor Augen führte, was passiert, wenn sie einen Sprung der Modernisierung versuchen.

Das westliche Globalisierungsprojekt konnte sich allerdings nicht nur auf eine Demonstration verlassen, sondern fordert die Liquidierung selbst potentieller Bedrohungen. Der “Arabische Frühling” erledigte das; alle säkularen Regierungen der Region wurden gestürzt oder gerieten unter schweres Feuer. Erdöl und Erdgas sind sicherlich ein weiterer, gewichtiger Faktor, welcher das Interesse des Westens an diesen Prozessen bedingt. Doch das dem übergelagerte, allgemeine Ziel ist die Vernichtung eines Konkurrenzprojekts und Machtpols.

Der Iran verbleibt als letzte Hoffnung für diese Zivilisation, und er ist es, der das nächste Ziel ist. Mit dem Iran wird man vermutlich auf zweierlei parallele Weise arbeiten. Die eine Variante wird man wohl schon in diesem Jahr fahren, als “Grüne Revolution v2.0”. Die zweite folgt etwas später, wenn der Iran in einen Krieg mit den sunnitischen Golfmonarchien gestoßen und einer gigantischen, degradierten Menschenmasse aus den Bevölkerungen der durch den “Arabischen Frühling” Ländern vernichteten Staaten als Hauptstoßkraft konfrontiert wird. Die Amerikaner haben nach ihren Verausgabungen für den Irakkrieg kein Interesse und wohl auch keine Möglichkeit, sich direkt und unmittelbar an diesen kommenden Kriegen zu beteiligen, deshalb besteht ihre Aufgabe darin, die Bedingungen dafür zu schaffen und den Stein ins Rollen zu bringen. Es geht den USA dabei nicht nur und nicht so sehr um eine Niederlage des Iran, als vielmehr um eine Erschöpfung aller möglichen Ressourcen der gesamten Region, gesellschaftliche und Humanressourcen natürlich inklusive. Und das mit dem Ziel, potentielle Konkurrenzprojekte ein für allemal zu beseitigen.

Und hier meine abendlich trübsinnigen zweieinhalb Cent für die, welche in den derzeitigen Krisen viel von Russland erwarten. Der libysche Oberst sagte inmitten der NATO-Aggression einmal sinngemäß, dass, gäbe es das Russland noch, all das nicht möglich wäre. Mit Russland ist man nämlich bereits so umgesprungen, dieses Projekt ist in den 1990’ern eigentlich ausgeschaltet worden. Russland wurde nicht nur im Kalten Krieg “besiegt”, sondern wird seither systematisch von seinen Ressourcen her ausgedünnt. Durch direkte Dezimierung der Humanressourcen, durch den gezielten Verfall von Bildung, Gesundheit, Schaffenskraft der übrigen, durch Vernichtung des Industriepotentials, aber am bedeutendsten ist wohl das Abpumpen der Ressourcen nach Außerhalb, so dass diese nicht mehr für die Modernisierung und den Aufbau der eigenen Gesellschaft zur Verfügung stehen. Russland ist in gewisser Weise jetzt schon das, was der Nahe Osten wohl in Zukunft sein wird, so, wie ihn sich die Amerikaner vorstellen. Eine Art Kolonialverwaltung, Verdummung der Bevölkerung, eine Vernichtung jedweder auf Vorankommen ausgerichteter Ideen und Ideologien. Erlaubt ist nur die Ideologie des Konsums und der Bereicherung. Ein bißchen wie Deutschland, oder ein sonstiges Land, das man dem “Westen” zurechnet und in dem den Menschen schon ein schauriges Erzittern vor den Begriffen “Ideologie”, "Patriotismus", "Moral", usw. anerzogen worden ist. Das ist ebenso auch als Zukunft für den Nahen Osten angedacht. Und der Irakkrieg von vor 10 Jahren bedeutete den ersten Schritt auf dem Weg in dieses Szenario für die Region.

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