Montag, 16. Januar 2012

Europa wünscht sich eigene Bonitätswächter

Europa wünscht sich eigene Bonitätswächter:


Von Jan Dörner

Suche nach Alternativen zu großen US-Ratingagenturen

BRÜSSEL, 16. Januar (AFP) – Wieder einmal wird in Europa massiv der Ruf laut, den Einfluss der großen US-Ratingagenturen zu brechen. Entsprechende Vorschläge der EU-Kommission rücken nun wieder in den Fokus. Auslöser der neu entbrannten Debatte ist die Entscheidung von Standard & Poor’s (S&P) vom Ende der vergangenen Woche, die Kreditwürdigkeit von mehr als der Hälfte der Euro-Länder herabzustufen.

PLÄNE DER EU-KOMMISSION

Die Bonitätsprüfer sollen ihre Gründe für die Bewertung eines Landes sowie ihre Methoden offenlegen müssen. Die abweichenden Benotungssysteme der Agenturen will Brüssel angleichen. Zudem sollen die Prüfer bei grob fahrlässigen Fehlern gegenüber Investoren für Schäden haften. Damit mehr Konkurrenz und Vielfalt in der von den Schwergewichten Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch dominierten Branche entsteht, will Brüssel die Übernahme von kleinen Wettbewerbern erschweren. Zudem sollen Interessenkonflikte bei der Bewertung bestimmter Finanzprodukte künftig ausgeschlossen werden.

ZEITPLAN

Die EU-Kommission hat ihre Pläne im November vorgelegt, die Verhandlungen mit EU-Ländern und Europaparlament können sich hinziehen. Zwar wurden in der Krise manche Entscheidungen schneller als zuvor getroffen, doch ein einjähriger Prozess wäre normal. Solche Gesetzesentwürfe werden nicht “über Nacht” umgesetzt, stellte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Montag im Deutschlandradio klar. Er glaube aber, dass die neuen Entwicklungen “den Prozess beschleunigen werden, wenn alle sehen, es besteht dringender Handlungsbedarf”.

EUROPÄISCHE RATINGAGENTUR

Die EU-Kommission befürwortet den Aufbau einer europäischen Agentur als Gegengewicht zu den US-Riesen, will ihn jedoch nicht selbst vorantreiben. Abgesehen von Kosten in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro fürchtet sie auch mangelnde Glaubwürdigkeit einer solchen Einrichtung. Der Unternehmensberater Roland Berger hat eine Initiative gestartet, um eine unabhängige europäische Ratingagentur ins Leben zu rufen. Im ersten Quartal 2012 will der Deutsche ein Konsortium aus Geldgebern versammeln, um dann mit dem Aufbau einer Agentur auf Augenhöhe zu den großen US-Bonitätsprüfern beginnen zu können.

WENIGER ABHÄNGIGKEIT VON DEN RATINGS

Ratingagenturen sind zwar keine offiziellen Aufsichtsbehörden, sie erfüllen aber in manchen Bereichen der Finanzwirtschaft im Prinzip diese Rolle. “Wir haben ja als Gesetzgeber zum Teil selbst die Rolle der Ratingagenturen verstärkt, indem wir für bestimmte Anlagen vorschreiben, dass sie ein bestimmtes Rating haben müssen”, räumte Schäuble ein. Die EU-Länder könnten nun etwa die Regeln so ändern, dass bestimmte Fonds nicht dazu verpflichtet sind, nur in Staatsanleihen der sogenannten AAA-Länder mit der besten Kreditwürdigkeit zu investieren.

jdö/mt

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